300 Wilken Ulrich portraetDr. Ulrich Wilken

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Reden (-2019)

zur Regierungserklärung der Hessischen Ministerin der Justiz betreffend "Justiz stärken - Vertrauen sichern"

Plenarprotokoll 30.01.2018
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre gelogen, wenn ich von meiner Fraktion oder von mir behaupten würde, dass wir jede Regierungserklärung in diesem Haus mit großer Spannung erwarten würden. Aber, sehr geehrte Frau Justizministerin, diese Erklärung hatte nun wirklich überhaupt keinen Neuigkeitswert. Alles wurde bereits mehrfach gesagt oder war schon vor Wochen in der Zeitung nachlesbar. Das nenne ich Diebstahl kostbarer Lebenszeit, und das ist kein Kavaliersdelikt

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem strafen Sie nebenher den stellvertretenden Ministerpräsidenten Lügen, der doch letzte Woche behauptet hat, Sie würden nicht so laut wie die anderen gackern, sondern er würde die schönsten Eier legen – oder so ähnlich.

Das Substanziellste, was ich gerade von Ihnen gehört habe, ist noch Ihre Positionierung zu Freiheitsstrafen für Schwarzfahrer als Ultima Ratio des Rechts. Doch auch das haben Sie bereits vor Wochen in der „FAZ“ in einem Gastbeitrag veröffentlicht.

Nun, wir vertreten an dieser Stelle eine grundsätzlich andere Auffassung. Wir wollen eine Änderung der rechtlichen Grundlagen für Bagatelldelikte wie Schwarzfahren oder Cannabisbesitz. Dies würde sowohl eine neue personelle Ausrichtung für eine bürgernahe Polizei als auch eine Entlastung der Justiz ermöglichen. Aufgaben wie die Strafanzeigen wegen des Besitzes geringer Mengen von Betäubungsmitteln, Schwarzfahren usw. verschlingen Tausende von Arbeitsstunden, und sie werden doch aus guten Gründen in der Regel wieder eingestellt und dienen fast nur der Statistik.
Außerdem wissen Sie – das haben wir schon an anderer Stelle mehrfach deutlich gemacht –: Unsere Lösung für das Schwarzfahren sieht ganz anders aus. Wir treten für einen Nulltarif im ÖPNV ein, dann hat sich das ohnehin erledigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zurück zu Ihrer Regierungserklärung. Es ist schon ein beeindruckendes Selbstlob, wie Sie hier die Stellensituation im Justizbereich über den grünen Klee loben und dabei den vorherigen jahrelangen Stellenabbau mit keinem Wort erwähnen, obwohl auch dafür die CDU in diesem Land die Verantwortung trägt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere daran: Wir haben1.000 abgebaute Stellen im Justizbereich seit 2003, also seit der „Operation düstere Zukunft“.

(Holger Bellino (CDU): „Sichere Zukunft“! – Gegenruf von der SPD)

Es ist sicherlich richtig, dass Sie in den letzten Jahren wieder Stellen in der Justiz aufbauen bzw. einen Abbaupfadgestoppt haben. Aber ich habe bereits im Rahmen der Haushaltsdebatte darauf hingewiesen, dass Sie das ungleichgewichtig tun. Sie stärken vor allem den Richterbereich und vergessen dabei, dass in dem gleichen Maße – ich sage nicht, dass Sie gar nichts tun, das war das Missverständnis beim letzten Mal – die zuarbeitenden Stellen aufgebaut werden müssen; sonst wird das nichts mit einer guten Justiz in Hessen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben im nicht richterlichen Dienst, im mittleren Dienst und im Schreibdienst von 3.050 Stellen im Jahr 2009 einen Abbau auf 2.800 Stellen zu verzeichnen, ohne dass wieder aufgebaut wurde. Wir haben deswegen eine völlige Überlastung in diesem Bereich. Deswegen haben wir mit unseren Haushaltsanträgen neue, zusätzliche Stellen beantragt, denen Sie selbstverständlich nicht zustimmen können.

Ja, Sie schaffen neue Stellen. Auch Sie haben heute das Schreiben des Bezirksrichterrats beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof bekommen, aus dem Frau Hofmann bereits zitiert hatte. Aber weil es eine so wichtige Passage ist, möchte ich auch noch daraus zitieren. Der Bezirksrichterrat habe erfreut die Absicht zur Kenntnis genommen, 14 neue Stellen im richterlichen Bereich und 16 Stellen für den Bereich der Serviceeinheiten auszuweisen, wenngleich diese Stellenzahl hinter dem rechnerischen Bedarf an zusätzlichen Stellen deutlich zurückbleibe. Das schreibt der Bezirksrichterrat.Weiter heißt es:
Die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte wiesen 2017 im richterlichen Bereich eine Belastungsquote von 279 % aus. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass durch diesen immensen Zuwachs schon jetzt deutlich längere Verfahrenslaufzeiten entstehen. Insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Serviceeinheiten ist die Arbeitssituation unzumutbar. Die Gerichtsbarkeit wird trotz der Stellenvermehrung Jahre benötigen, um wieder zeitnah entscheiden zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie mir schon nicht glauben, glauben Sie doch wenigstens Ihren Richtern und Richterinnen: Es reicht nicht, was Sie da tun, und Selbstlob macht es nicht besser.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die gleiche – oder in einigen Bereichen vielleicht noch krassere – Situation haben wir im Justizvollzug: eine extrem hohe Belastung, einen extrem hohen Personalkrankenstand seit Jahren in vielen Vollzugsanstalten. Es müssten 10 % Stellenaufbau geschaffen werden, um allein die wegen Erkrankung fehlenden Kolleginnen und Kollegen auszugleichen. Da rede ich jetzt noch nicht von der zukünftigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die wir uns auch starkmachen – ich rede davon, dass erst einmal wieder ein Normalbetrieb möglich ist, um den Krankenstand auszugleichen. Nichts davon aber wird von Ihnen umgesetzt.

Dazu gehört selbstverständlich auch der Grund, warum wir die Beschäftigten in den JVAs haben: Gefangene müssen respektvoll behandelt werden. Aber auch da hapert es an allen Ecken und Enden. Wir haben die Diskussion über die Notwendigkeit eines Mindestlohns hier schon mehrfach geführt. Wir haben die Diskussion darüber geführt, dass eine Einbeziehung von Gefangenen in die Sozialversicherung notwendig ist, um Armut im Alter zu vermeiden. – All das spielt bei Ihnen keine Rolle.
Ebenso spielt ein Projekt keine Rolle, das wir auch in den Haushaltsberatungen beantragt haben, nämlich Gefangenen Teilhabe an modernen Kommunikationsmedien wie z. B. dem Internet zu ermöglichen. Wenn Sie die Technisierung und Elektronik in Ihrer Regierungserklärung so hoch loben: Dies wäre ein Bereich, in dem wir neue Wege beschreiten könnten, um herauszufinden, wie mit Strafgefangenen und neuen Medien gearbeitet werden könnte – aber auch dem haben Sie selbstverständlich nicht zugestimmt.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ein paar Bemerkungen zur baulichen Situation. Da wird jetzt zwar etwas angegangen – das will ich nicht bestreiten –, was unsere Justizvollzugsanstalten anbelangt, aber der Sanierungsstau im hessischen Justizvollzug ist doch mittlerweile so heftig, dass wir ständig davon hören, dass es durch Dächer regnen, der Wind durch die Fenster pfeifen oder Wasserleitungen marode sein würden.

Wir fordern, wie der Bund der Strafvollzugsbediensteten auch, eine vollständige Mängelbilanz und ein Bausanierungskonzept, das schnell greift und nicht nur für eine Legislaturperiode trägt, sondern langfristig wirkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es z. B. unerträglich, dass im Jugendvollzug in Wiesbaden Zellen existieren und genutzt werden, die einfach verglaste undichte Fenster haben, die die Toilette mit im Raum haben und dabei gerade knapp über 6 m² groß sind. Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung hält eine Mindestgröße von 7 m² für angemessen. Wir reden über Wiesbaden.
Nicht nur in Justizstandorte sondern auch in die Justizstruktur muss neu, muss reinvestiert werden. Wir erinnern uns alle an die Debatte zur Schließung der Gerichtsstandorte. Ein Rechtsstaat muss diesen auch finanzieren. Sie haben im Jahr 2011 zehn Gerichte geschlossen. Die Justiz wurde aus der Fläche abgezogen und damit geschwächt. Eingespart haben Sie damit rein gar nichts. Es wurde lediglich umverteilt auf die Schultern der Rechtsuchenden, die jetzt Kosten und Mühen aufwenden und weite Wege zurücklegen müssen.

Jetzt wollen Sie die Justiz in den Flächenkreisen stärken, indem Sie eine neue Dienstleistung aufbauen. Entschuldigen Sie, dass ich das immer noch auf Deutsch sage und nicht über „Digital Service Points“ rede. Sie schaffen eine Auskunftsstelle, bei der Bürgerinnen und Bürger anrufen oder an die sie einen Brief schreiben können und – Zitat von Ihnen aus dem letzten Jahr – „von einer versierten Person direkt und schnell Hilfe erhalten sollen“. Das ist jetzt wirklich nahezu revolutionär.

Ob Ihnen die Bürgerinnen und Bürger, die sich damals erfolglos gegen die Schließung der Gerichtsstandorte gewehrt haben, zustimmen, dass dies eine Stärkung der Fläche sei, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der LINKEN – Jan Schalauske (DIE LINKE): Aber hallo!)

Dann reden Sie wieder über Respekt – anscheinend ein Lieblingswort dieser Landesregierung. Was von dem Respekt zu halten ist, erleben wir in diesem Haus regelmäßig. Der Innenminister schafft es, die respektvolle Haltung der Landesregierung gerade gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft selbst in Karnevalsveranstaltungen zum Ausdruck zu bringen – auch hier deutlich mehr Schein als Sein.
Vielleicht wollen Sie ja, dass überlange Gerichtsverfahren in Hessen mit überlangen Zeiten der Beantwortung unserer Fragen an die Landesregierung korrelieren. Es kann sein, dass Sie das so wollen. Aber mit Respekt hat das nun wirklich überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Frau Kühne-Hörmann, ich will noch zwei Aspekte ansprechen, bei denen ich mir gewünscht hätte, dass Sie in einer Regierungserklärung dazu etwas Neues sagen.
Das eine ist die strukturelle Unabhängigkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften. Der Deutsche Richterbund und die Neue Richtervereinigung fordern bereits seit Jahren eine selbstverwaltete Justiz, wie sie in fast allen Staaten Europas schon üblich ist. Dazu wäre mir eine Positionierung wichtig gewesen. Unserer Auffassung nach müsste Folgendes geschehen:

Erstens. Das Justizministerium ist nicht mehr länger für Personal und Verwaltungsaufgaben in der Justiz zuständig.

Zweitens. Bei Personalfragen wird selbstverständlich das Parlament beteiligt.

Drittens. Verwaltungsaufgaben, die Gerichte betreffen, werden ausschließlich von den Richterinnen und Richtern selbst wahrgenommen.

Viertens. Wir sind für eine Abschaffung des gestaffelten Besoldungssystems und der damit verbundenen Hierarchisierung in der Justiz. Alle Richterinnen und Richter sollten grundsätzlich gleich besoldet werden, wobei ein System von gestaffelten Alterszulagen eingeführt wird.

Über solche Projekte einmal mit Ihnen zu diskutieren, das wäre wirklich zielführend und hätte Neuigkeitscharakter.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine letzte Bemerkung kann ich mir anhand des Desasters in diesem ach, so modernen Staat mit der fortgeschrittenen Digitalisierung nun nicht verkneifen. Das fällt zwar nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich, sondern für das Anwaltspostfach sind die Bundesrechtsanwaltskammer und der Bundesjustizminister verantwortlich, aber es hätte in eine Regierungserklärung der Justizministerin zu Beginn dieses Jahres gehört.

Ende letzten Jahres hat alle Anwälte, die sich in die Moderne begeben wollten und ein elektronisches Anwaltspostfach einrichten sollten, eine Blamage ohnegleichen getroffen. Kurz vor knapp – wiederum herausgefunden vom Chaos Computer Club – musste festgestellt werden, dass offensichtlich niemand in der Lage ist, eine Software so zu schreiben, dass sie auch wirklich sicher ist. Wieder einmal ist ein Softwareprojekt völlig schiefgegangen. Das hat schon bei den Spezifikationen angefangen, die offenbar völlig unzureichend waren. Dann sind völlig veraltete Softwarebibliotheken verwendet worden. Den Grundkurs in Sachen Datensicherheit haben die Entwickler vermutlich erfolgreich verdrängt.

Sehr verehrte Frau Justizministerin, ich hätte mir eine Erklärung dazu gewünscht, wie man so etwas verhindert und da vernünftig weiterkommt. Das hätte eine Regierungserklärung vielleicht auch für mich sinnvoll erscheinen lassen. So war sie es auf keinen Fall. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)

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